Climate Culture Building
Klima- und kulturgerechtes Bauen in der Bauphysik
Effiziente, nachhaltige und sozial eingebettete Gebäude entstehen durch ein ausgewogenes Zusammenspiel von Tradition und Innovation. Viele der heutigen Neubauten in Deutschland und Europa erreichen dank verschärfter Normen und Regelwerke ein hohes bauphysikalisches Niveau, sodass sie kaum noch Energie zur Konditionierung des Innenklimas benötigen. Dennoch werden in der Praxis klimatische und kulturelle Besonderheiten regionaler Kontexte häufig unzureichend berücksichtigt. Statt differenzierter Lösungen dominieren standardisierte Grenzwerte, wodurch ganze Gebiete in Bezug auf Klima und Kultur vereinheitlicht, betrachtet werden.
Planungsfehler wie großflächige Glasfassaden auf sonnenexponierten Gebäudeseiten, ungeeignete Materialien oder die Missachtung kultureller Aspekte – typischer Lüftungsgewohnheiten – können nicht nur die Energieeffizienz eines Gebäudes deutlich verschlechtern, sondern auch seine Umweltbilanz negativ beeinflussen. Angesichts der Tatsache, dass weltweit etwa 30 % der jährlichen CO₂-Emissionen1 dem Gebäudesektor zugerechnet werden, ist eine ganzheitliche Herangehensweise an Bauplanung und -ausführung unabdingbar.
Insbesondere in dicht bebauten urbanen Räumen hat ein Gebäude nicht nur Auswirkungen auf sich selbst, sondern beeinflusst maßgeblich auch seine unmittelbare Umgebung. Fassadenmaterialien, Gebäudehöhe, Geometrie und Orientierung wirken sich auf Lichtverhältnisse, Verschattung, Luftzirkulation und sogar die thermische Behaglichkeit angrenzender Bauten aus. Ebenso ist die präzise Platzierung eines Gebäudes innerhalb eines städtebaulichen Gefüges von zentraler Bedeutung, um stadtklimatisch verträgliche Mikroklima zu fördern und negative Synergieeffekte zu vermeiden.
Ein zentraler Aspekt unserer Forschung ist die Integration traditioneller, häufig passiver Bautechniken – wie natürliche Verschattung, Querlüftung oder thermische Masse – in die zeitgenössische Architektur. Diese Konzepte leisten nicht nur einen Beitrag zur Energieeinsparung und Reduktion technischer Eingriffe, sondern fördern zugleich das Wohlbefinden der Nutzerinnen und Nutzer. Eine kulturgerechte Architektur erhöht darüber hinaus die soziale Akzeptanz in der Nachbarschaft und unterstützt eine positive Identifikation mit dem gebauten Raum.
Unser Forschungsschwerpunkt widmet sich der systematischen Analyse kontextabhängiger Parameter, um klima- und kulturgerechtes Bauen auf fundierter Basis zu ermöglichen – sowohl im Neubau als auch bei der Modernisierung bestehender Bausubstanz. Dabei untersuchen wir unter anderem:
- Klimatische und umweltbezogene Bedingungen: Sonnenverlauf, Temperaturentwicklung, Luftfeuchtigkeit, Windverhältnisse, Luftqualität, Auswirkungen des Klimawandels
- Ressourcenverfügbarkeit: Nutzung lokaler Baustoffe, Transportlogistik, Umweltkosten (LCA)
- Traditionelle Bauweisen: Regional bewährte, oft passive architektonische Lösungen
- Kulturelle Lebensgewohnheiten: Nutzungsverhalten, ästhetische Vorlieben, soziale Strukturen
- Sozioökonomische Faktoren: Lebensstandard, Anforderungen an Wohnqualität, Werthaltungen
- Gebäudeumfeld und Rahmenbedingungen: Urbanität vs. Ländlichkeit, baurechtliche Vorgaben, Gebäudetypologie
Ziel unserer Arbeit ist es, ein tieferes Verständnis für die komplexen Wechselwirkungen zwischen Bauphysik, Kultur und Klima in jedem Kontext zu schaffen. Auf dieser Grundlage entwickeln wir zukunftsfähige, resiliente und menschengerechte Bauweisen, die auf wissenschaftlicher Erkenntnis basieren und zugleich lokal verwurzelt sind.
[1] United Nations Environment Programme, & Yale Center for Ecosystems + Architecture (2023). Building Materials and the Climate: Constructing a New Future. wedocs.unep.org/20.500.11822/43293.